GESUNDHEIT

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Das Gespür für einen gesunden Lebensstil, mehr Sensibilität für die Signale unseres Körpers und mehr Aufmerksamkeit für Prävention — das sind für mich die Säulen, die unsere Gesundheit tragen.

 

 


Zeit des Umbruchs

Evolution HealthBei meinen Recherchen zu einer großen Reportage zum Thema Wechseljahre war ich überrascht, wie schwer es Frauen immer noch fällt, über ihre Beschwerden vor und nach der Menopause zu sprechen - und was dieser Umbruch auch emotional mit ihnen macht. Viele Frauen wissen auch gar nicht, dass das Spektrum für die Beschwerden viel breiter ist als nur Hitzewallungen und Schweißausbrüche. Neben unregelmäßigen Blutungen können auch enormes Herzrasen, Kopfschmerzen, Gelenkbeschwerden und Muskelprobleme durch den Mangel an Östrogen hervorgerufen werden.

 

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Zeit des Umbruchs


Die Hormonumstellung erlebt jede Frau anders. Oft zieht sie sich über Jahre hin und verändert nicht nur den Körper, sondern auch die Lebenseinstellung


Mit der Menopause kam der Wunsch nach dem Motorrad. "Ich liebe den Fahrtwind. Es ist wie Cabriofahren, nur besser", sagt Marion Glas. Um endlich ihren Jugendtraum zu verwirklichen, paukte sie in der Fahrschule noch einmal Verkehrsregeln. Jetzt hat die 52-Jährige eine Yamaha in ihrer Münchner Garage stehen. Für sie waren die Wechseljahre ein Durchstarten in eine neue Lebensphase.
Doch das lässt sich nicht verallgemeinern. Während Frauenmagazine die Generation 45 plus mit Titelgeschichten wie "Mehr Zeit für mich!" ¬feiern, dominieren in sozialen Netzwerken Leidensgeschichten über sturzbachartige Blutungen, Gewichtszunahme, durchgeschwitz¬te Nachthemden, Haarausfall und vermehrte Gesichtsbehaarung. Doch nur weil öffentlich viel darüber gesprochen wird, heißt es nicht, dass der Einzelne das gern tut. "In meinem Umfeld ist das ein Tabuthema", wundert sich die gebürtige Kölnerin. "Männer spüren nicht so wie Frauen, dass sie unfruchtbar werden. Wir müssen uns damit im Stillen auseinandersetzen", sagt die Personalreferentin.
Marion G. hatte ihre letzte Menstruation mit 50 und lag damit etwa im Durchschnitt. Meist erstrecken sich die Wechseljahre vom 45. bis zum 55. Lebensjahr. Eintrittsalter und Länge sind teils genetisch bedingt.


Wenn der Zyklus aus dem Takt gerät

Nachdem über Jahrzehnte hinweg der Zyklus durch den fein abgestimmten Ablauf der Hormonausschüttungen von Östrogen und Progesteron reguliert wurde, um die Gebärmutter auf eine mögliche Schwangerschaft vorzubereiten, gerät alles aus dem Takt, wenn der Vorrat an Eizellen zur Neige geht. Der normale Zyklus verläuft hormonell wie Ebbe und Flut. Doch vor der Menopause kann es regelrecht zu Tsunamis kommen, weil der Dialog zwischen Hirnanhangsdrüse und Eierstock nicht mehr so gut funktioniert. "Dann wird mal zu früh, mal zu spät das nächste Eibläschen losgeschickt", erklärt Dr. Katrin Schaudig, Vizepräsidentin der Deutschen Menopause-Gesellschaft. Das erklärt oft Zwischenblutungen, eine sehr starke oder lange Menstruation.


Zeit für Veränderungen

"Ich habe nicht zugelassen, dass ich in ein Loch falle, den Beschwerden kaum Raum gegeben", erzählt Marion. Im Gegenteil: Die Menopause hatte bei ihr einen positiven Effekt. Früher litt sie unter gutartigen Wucherungen in der Gebärmutter (Myomen). Und als sie sich mit Mitte 30 operieren ließ, stellten die Ärzte eine Endometriose fest. "Es grenzt an ein Wunder, dass ich danach trotzdem schwanger wurde", so die Mutter eines heute 15-jährigen Sohns. Jetzt, mit dem Ausbleiben der Periode, sind auch die Unterleibsbeschwerden verschwunden. Für viele Frauen wie Marion Glas. stehen aber Hormon-Jo-Jo und Hitzewallungen gar nicht so im Fokus: "Ich habe den Umbruch weniger körperlich gemerkt als vielmehr an den Lebensumständen", resümiert sie rückblickend. "Mit Ende 40 kam bei mir das Gefühl auf, dass ich nicht wie bisher weiterleben möchte." Sie trennte sich von ihrem Mann.


Emotionale Durch- und Ausbrüche

Damit ist sie kein Einzelfall. Laut dem Statistischen Bundesamt beträgt das Durchschnittsalter von Frauen bei einer Scheidung heute 44 Jahre – vermutlich weil viel mehr Frauen erst in ihren Dreißigern eine Familie gründen. So fällt die Trennungsphase oft in die Zeit der Wechseljahre. Heute sieht Marion Glas positiv in die Zukunft. "Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Das ist ein neues Selbstbewusstsein, das mich gelassener macht, auch was das Frausein angeht." Doch nicht immer verläuft das Klimakterium unkompliziert. Manchmal zeigt es sich an Kleinigkeiten, dass gerade alles kopfsteht. "Es war gar kein besonderer Anlass, es brach irgendwie aus mir heraus", erinnert sich Kara Bode. an den Moment. Sie wollte nur schnell eine Creme in ihrer Apotheke kaufen. Doch die Schlange vor ihr war lang, einfach zu lang. "Auf einmal bekam ich einen Heulkrampf, musste heftig weinen." Die Apothekerin rief ihren Ehemann dazu, einen Allgemeinarzt. Er beruhigte die aufgelöste Kundin und riet ihr, sich zeitnah durchchecken zu lassen. Das war vor einem Jahr.
"Ich kam gar nicht auf die Idee, dass es die Wechseljahre sein könnten", sagt die heute 55-Jährige: Ihre Periodenblutungen kamen noch regelmäßig. Zu den Stimmungsschwankun¬gen gesellten sich Schlafstörungen. Ihre manchmal schwitzigen Hände oder Füße, ebenso das Gefühl, als ob eine Wärmelampe im Körper an- und ausgeknipst wird, nahm sie nicht als Wechseljahresbeschwerden wahr.
"Ich friere seit dieser Zeit kaum noch", erzählt die Sozialpädagogin aus Eichenau. Als sie schließlich ihren Gynäkologen aufsuchte, sagte er schon vor der Untersuchung: "Nun, sind Sie auch so weit mit den Wechseljahren?" Seitdem klebt sie sich auf ihren Oberschenkel nach Anweisung des Arztes ein Hormonpflaster, das ihren Körper mit den Ersatzhormonen Estradiol oder Gestagen versorgt. "In kürzester Zeit ging es mir besser. Heute habe ich weder Hitzewallungen noch Heulkrämpfe", sagt sie. Auch die zum Teil extrem starken Monatsblutungen gingen zurück.


Mehr als Nachtschweiß und Hitzewallungen

Geschichten wie die von Kara Bode hört Dr. Katrin Schaudig jeden Tag. "Manche Frauen brechen beim Bäcker in Tränen aus, weil ihr Lieblingsbrot ausverkauft ist." Sie hat in Hamburg eine Praxis für gynäkologische Endokrinologie und stellt klar: "Die Wechseljahre kann man nicht aufhalten oder verkürzen. Den Beschwerden kann man nicht mit Sport oder guter Lebensweise vorbeugen." Auch die Ausprägung der Symptome sei kaum vorhersehbar. "Sie zeigen sich bei jeder Frau anders, bei manchen nur kurz, andere schwitzen jahrelang." Ein Drittel aller Frauen leidet zum Teil erheblich in dieser Zeit. "Wenn zum Beispiel eine Lehrerin mit Hitzewallungen vor ihrer Klasse steht und der Schweiß runterläuft, kann das extrem belastend sein. Andere Frauen wiederum plagt zeitweise so starkes Herzklopfen, dass sie in die Notaufnahme gehen, weil sie Angst vor einem Infarkt haben", sagt Schaudig. Erst wenn zwölf Monate keine Periodenblutung mehr auftritt, spricht man von der Menopause.

Doch das ist nicht automatisch der Schlusspunkt aller Beschwerden. "Sie können schlimmstenfalls bis zum Lebensende anhalten. Meine älteste Patienten ist 78 Jahre alt", sagt Dr. Cornelia Jaursch-Hancke von der Helios-Klinik Wiesbaden. Die Diagnose gestaltet sich oft langwierig. "Östrogenrezeptoren gibt es im ganzen Körper, vom Fuß bis zum Kopf, am Herzen und in der Haut", so die Expertin von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Wenn die Hormonproduktion sinkt, können vielfältige Symptome entstehen. Rheumatologen schicken Patientinnen zu mir, die überall plötzlich Schmerzen haben, bei denen sich der Rheumaverdacht aber nicht bestätigt." Östrogenpräparate als Gel, Pflaster oder Tabletten können dann helfen. "Doch ein Therapiebeginn macht weniger Sinn erst Jahre nach der Menopause, wenn schon lange ein Östrogenmangel besteht."Ersatzhormone wurden früher jeder dritten Frau verschrieben, heute sind es knapp sieben Prozent. Ausgelöst wurde dieser Wandel durch die damalige Studienlage, die auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko hindeutete. Bis heute diskutiert die Fachwelt das Thema. Wie hoch die individuelle Gefährdung ist, hängt auch von Therapiebeginn, Behandlungsdauer, Hormonart und -menge ab, so eine aktuelle Studie. Neueste Erkenntnisse stützen demnach die alten Bedenken. "Wenn ein hormonabhängiger Tumor bereits vorhanden ist, wächst er womöglich durch die Hormongabe. Deshalb sollte man sich vor einer Hormontherapie genau untersuchen lassen", rät Schaudig.


Ein neues Körpergefühl

Kara Bode erleichterten die Hormone die schwere Umstellung: "Ich habe das Gefühl, dass der ganze Körper ausgewechselt wird und viel empfindlicher reagiert." Ähnlich erlebt sie das Familienleben. Als sie in die Wechseljahre kam, steckte der jüngste ihrer drei Söhne in der Pubertät. Wo früher Innigkeit herrschte, liegen heute öfter die Nerven blank. Dafür genießt sie ihr Tantenglück mit ihrem vierjährigen Neffen. "Ich übernehme viel mehr die Generationsverantwortung." Auch wenn alle diese Probleme bei jüngeren Frauen noch weit entfernt sind, suchen viele zunehmend nach natürlichen Wegen, um mit typischen Frauenleiden umzugehen. Eine davon: Sina Oberle aus Konstanz. Die 30-Jährige macht sich derzeit Gedanken zum Kinderwunsch und hat sich intensiv mit dem weiblichen Hormonhaushalt beschäftigt. Zwölf Jahre nahm sie die Antibaby¬pille und litt nach dem Absetzen unter Hautunreinheiten, Stimmungstiefs und dem Ausbleiben der Periode. "Frauen sollten sich viel mehr damit beschäftigen, was in der Pubertät, in der Schwangerschaft oder den Wechseljahren in ihrem Körper passiert. Nur dann kann man das Richtige tun", meint Sina. Sie selbst setzte auf Darmgesundheit, ausgewogenere Ernährung und bessere Lebensgewohnheiten. Auf Verhütungsmittel mit Hormonen verzichtet sie seitdem und fühlt sich wieder wohl in ihrer Haut. Als Buchautorin und Bloggerin gibt sie nun ihre Erfahrungen weiter. Oft wird sie von jungen Frauen angeschrieben, die nach Tipps für die Wechseljahresbeschwerden ihrer Mütter fragen. Viele wünschen sich eine schnelle Lösung. "Doch die gibt es nicht", ist Sina Oberle. überzeugt.


Wenn der Zyklus aus dem Takt gerät

Nachdem über Jahrzehnte hinweg der Zyklus durch den fein abgestimmten Ablauf der Hormonausschüttungen von Östrogen und Progesteron reguliert wurde, um die Gebärmutter auf eine mögliche Schwangerschaft vorzubereiten, gerät alles aus dem Takt, wenn der Vorrat an Eizellen zur Neige geht. Der normale Zyklus verläuft hormonell wie Ebbe und Flut. Doch vor der Menopause kann es regelrecht zu Tsunamis kommen, weil der Dialog zwischen Hirnanhangsdrüse und Eierstock nicht mehr so gut funktioniert. "Dann wird mal zu früh, mal zu spät das nächste Eibläschen losgeschickt", erklärt Dr. Katrin Schaudig, Vizepräsidentin der Deutschen Menopause-Gesellschaft. Das erklärt oft Zwischenblutungen, eine sehr starke oder lange Menstruation.


Schamgefühle überwinden

Auch ihre 56-jährige Mutter war betroffen, gemeinsam suchten sie nach alternativen Ansätzen: "Wir haben ätherische Öle, Vitalstoffe, Bäder und Aromatherapie ausprobiert." Problematisch findet sie zudem den Perfektionsdrang, der viele Frauen sehr stresst. Ähnlich sieht es Doris Braune: "Viel zu oft werden die Symptome pathologisiert. Dabei sind die Wechseljahre keine Krankheit." Als Beraterin im Frauengesundheitszentrum Stuttgart beantwortet sie unter anderem Fragen zu pflanzlichen Mitteln oder Tees mit Traubensilberkerze, Frauenmantel oder Baldrian gegen die Beschwerden. Mit 64 Jahren weiß sie auch um die Schamgefühle der Frauen, die nach der Menopause unter Scheidentrockenheit, Blasenentzündungen oder verändertem Lustempfinden leiden. "Viele setzen sich selbst unter Druck und wollen weiter so funktionieren wie vorher." Besser sei es, sich für die schönste Sache der Welt einfach mehr Zeit zu nehmen oder neue Praktiken auszuprobieren. "Frauen, die sich trotz der Veränderung attraktiv fühlen, können dieser Zeit oft viel Positives abgewinnen."


In den Wechseljahren: Jetzt richtig verhüten


Etwas länger als ein Jahr nach der letzten Periode sollte man noch verhüten. Dr. Claudia Schumann von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe erklärt, worauf zu achten ist.


Pille und Minipille

Die Hormone hemmen den Eisprung. Gynäkologin Claudia Schumann rät von Kombipräparaten mit Östrogen und Gestagen ab: „Sie verstärken das erhöhte Risiko für Thrombose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, vor allem für Frauen, die rauchen oder hohen Blutdruck haben. Besser sind Gestagenpräparate.

Kondom und Femidom

Kondome und Femidome sind nicht so sicher wie Hormonpräparate, doch sie senken das Übertragungsrisiko von Krankheiten beim Geschlechtsverkehr. Frauen, die zu Scheidentrockenheit und Blasenentzündungen neigen, profitieren.

Hormonimplantate oder -stäbchen

Werden in einem Eingriff unter die Haut gelegt und bleiben dort bis zu drei Jahre. „Sie geben in der Regel nur Gestagene ab und sind eher zu empfehlen als Kombinationspräparate. Allerdings leiden Frauen häufiger unter unregelmäßigen Blutungen“, so Schumann.

Spiralen

Hormonspiralen geben direkt in die Gebärmutter Gestagen ab. „Die Periode wird schwächer oder verschwindet ganz – positiv für Frauen, die zu starken Blutungen neigen“, so Schumann. Kupferspiralen oder -ketten kommen Ohne Hormone aus. Doch: „Die Kupferspirale kann Blutungen eher verstärken.“

Verhütungsring/-pflaster

Das Pflaster wird wöchentlich gewechselt, der Ring verbleibt drei Wochen in der Scheide. „Beide Varianten wirken so wie die Mikropille auf den Körper, die Hormone werden nur unterschiedlich aufgenommen“, sagt Schumann. Daher sollten Raucherinnen und Frauen mit Bluthochdruck sich beraten lassen.

Diaphragma

Spermien lähmende oder abtötende Mittel, die es als Schaum, Zäpfchen oder Gel gibt, sind allein angewandt nicht zu empfehlen. Sie verstärken aber die Sicherheit eines Diaphragmas. Für Kondome eignen sie sich weniger: Sie verringern die Sicherheit eher.

Kalendermethode

Ob App oder Kalender – von Methoden, die mit dem Zählen von Tagen arbeiten, um die fruchtbare Phase zu ermitteln, sollten Frauen in den Wechseljahren Abstand nehmen. „Sie funktionieren nur, wenn man einen regelmäßigen Zyklus hat“, betont Gynäkologin Schumann.

Sterilisation

Die Eileiter werden über eine Länge von einem Zentimeter elektrisch verödet, mit einem Clip verschlossen oder durchtrennt. Die halbstündige Operation wird unter Vollnarkose meist in der ersten Zyklushälfte durchgeführt. Paare sollten den Schritt vorher besprechen.

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Glanzvolle Medizin

Evolution HealthGold ist mehr als nur ein wertvolles Edelmetall, das für Reichtum und schönen Schmuck steht. Die Recherche zu einer Geschichte für die Apotheken Umschau hat meinen Blick auf Gold verändert. Ähnlich wie Silber hat es die Eigenschaft, Bakterien unschädlich zu machen. Die aktuelle Forschung sieht aber noch mehr Potential.

 

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Glanzvolle Medizin


Gold
Das Edelmetall gehört zu den ältesten Heilmitteln der Welt. In Zukunft sollen seine Partikel Übergewicht bekämpfen und Krebspatienten helfen


Nummer 79 im Periodensystem ist mehr als nur ein chemisches Element. Dahinter verbirgt sich das begehrteste Edelmetall der Welt: Gold. Seit mehr als 5000 Jahren waschen Menschen auf allen Kontinenten Nuggets aus Flüssen oder schürfen Erz aus Bergstollen. Aber nicht nur, um aus Gold Kronen, Schmuck und Münzen zu schmieden. Weniger bekannt ist, dass das Edelmetall seit Jahrtausenden auch einen festen Platz in der Medizin hat – und das nicht nur bei schadhaften Zähnen.


Traditionelle Medizin: Gold für Lebensenergie und als Jungbrunnen

In fast allen Kulturen symbolisierte es die Kraft der Sonne. Wer es pulverisiert einnahm, versprach sich davon mehr Vitalität. Erste Hinweise dafür finden sich in mehr als 4500 Jahre alten Hieroglyphen. Die Ägypter waren überzeugt, Gold heilt Geist und Körper. In der Traditionellen Chinesischen Medizin stärken nach wie vor Goldmedikamente den sogenannten Nieren-Blasen-Meridian. Ziel dieser Behandlung: mehr Lebensenergie. Im Mittelalter avancierte das Edelmetall zum Anti-Aging-Mittel. Arabische Ärzte bewarben es als Jungbrunnen für mehr Jugendlichkeit. In Europa waren Unsterblichkeitselixiere mit Goldstaub über Jahrhunderte schwer in Mode. "Das Gold kann den Körper unzerbrechlich erhalten", schrieb der Alchimist Paracelsus im 16. Jahrhundert und kreierte ein Rezept für das trinkbare Gold "aurum potabile". Noch hundert Jahre später schwor der französische Naturwissenschaftler René Descartes darauf – und hoffte auf ewiges oder zumindest sehr langes Leben. Doch mit Gold lässt sich weder der Tod überlisten noch Depression, Epilepsie, Migräne oder Syphilis heilen. Nachgewiesen ist allerdings eine antibakterielle Wirkung des Edelmetalls.


Goldener Bakterientod

Diese erahnten bereits antike Gelehrte. Plinius beispielsweise berichtete in seinen Schriften, wie er Wunden und Fisteln mit einer Mixtur aus Gold, "getrocknet mit Salzen und Schiefer", behandelt hatte. Er wollte auf diese Weise Infektionen aufhalten. Erste wissenschaftliche Hinweise für diese Wirkweise lieferte Robert Koch. Nachdem der deutsche Mikrobiologe 1882 den Erreger der Lungenerkrankung Tuberkulose entdeckt hatte, forschte er in seinem Labor nach einem Heilmittel. Dabei stellte er fest, dass Tuberkelbazillen in der wasserlöslichen Verbindung Kaliumgoldcyanid mit einem Anteil von fast 70 Prozent Gold abstarben. Allerdings ist Kaliumcyanid giftig und als Medikament völlig ungeeignet. Doch die moderne Medizintechnik hat den Ansatz aufgegriffen.
So arbeitet beispielsweise die Universität Hannover an neuartigen Oberflächen für Medizinprodukte wie Paukenröhrchen fürs Ohr oder Blasenkatheter. Das soll das Infektionsrisiko in Krankenhäusern eindämmen. Spezielle Goldbeschichtungen setzen dazu Ionen frei, die in feuchter Umgebung Bakterien abtöten.
Auch auf einem anderen medizinischen Gebiet hat das Edelmetall über Jahrhunderte Karriere gemacht. Die Äbtissin Hildegard von Bingen war die erste Heilkundige, die eine Goldkur für Gicht- und Rheumakranke entwickelte


Goldkur gegen Gelenkleiden

Die Benediktinerin mischte Dinkelmehl und reines Flussgoldpulver, um daraus Plätzchen zu backen. Ihre Patienten mussten diese jeden Morgen essen. "Das räumt für ein Jahr mit der Gicht in ihm auf", versprach die Nonne. "Denn das Gold verbleibt zwei Monate im Magen." Noch heute wird das Goldmehlpulver nach altem Rezept verkauft. Der französische Arzt Jacques Forestier kombinierte beide Ansätze zu einer Rheumatherapie. In den 1930er-Jahren behandelte er seine Patienten mit löslichen Goldverbindungen – im Glauben, rheumatoide Arthritis sei eine Form von Tuberkulose. Er hatte Erfolg. "Bis Ende der 80er-Jahre waren Goldinjektionen bei starker rheumatoider Arthritis das Mittel der Wahl", erinnert sich Professor Klaus Krüger vom Berufsverband der Rheumatologen.
Er gab den chronisch Kranken einmal wöchentlich eine Spritze. Doch es konnte ein halbes Jahr dauern, bis das Medikament anschlug. Zudem waren die Nebenwirkungen so gravierend, dass die Therapie abgebrochen werden musste. "Bei einigen Patienten zeigten die Augen einen Blauschimmer, oder sie bekamen Hautekzeme", erinnert sich Krüger. Auch Nieren und Leber nahmen mitunter Schaden. "Inzwischen haben Kortison, Immunsuppressiva und moderne Biologika Gold als Rheumatherapeutikum abgelöst.“


Gold beeinflusst das Immunsystem

Erst vor rund zehn Jahren fand eine schwedisch-amerikanische Studie heraus, warum Gold Rheumabeschwerden lindert. In winzigen Mengen wirkt es regulierend auf das Immunsystem. Goldsalze können in bestimmten Immunzellen (Makrophagen) verhindern, dass entzündungsfördernde Proteine freigesetzt werden. "Nun, da wir den Wirkmechanismus genauer kennen, können wir neue und bessere Medikamente gegen rheumatoide Arthritis entwickeln, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren", erklärte David Pisetsky von der Duke-Universität in Durham (USA) der Presse.


Hoffnungen der Nanomedizin

Die Geschichte von Gold als Arznei hat eine Zukunft. Nanomediziner sehen in der entzündungshemmenden Wirkung des Edelmetalls Potenzial, um Therapien für krankhaftes Übergewicht, Blutzucker- und Fettstoffwechselstörungen zu entwickeln. Forscher an der Universität Sydney (Australien) injizierten übergewichtigen Mäusen Nanopartikel aus Gold – und beobachteten nach kürzester Zeit, dass sich das Bauchfett der Nager reduzierte und ihr Glukosespiegel im Blut sank.
Ob und wie sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist noch Zukunftsmusik. Auch Wissenschaftler vom Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA) arbeiten an neuen Ansätzen in der Tumortherapie von Leukämie-Patienten. Goldene Nanobestandteile sollen als Transportvehikel die Aufnahme von Arzneistoffen in die Zellen verbessern. Wenn das gelingt, könnte Gold wertvoller werden denn je.

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FRAUENSACHE – DIE SELBSTBESTIMMTE WEIBLICHKEIT

Evolution HealthFür unsere Gesundheit müssen wir auch ein Stück weit kämpfen und investieren. Für ein Projekt für McCann Health habe ich im Netzwerk mit anderen Journalisten ein ganzes Magazin über das Thema „Der selbstbestimmte Patient“ entwickelt und geschrieben. Im Team haben wir versucht, wichtigen Zeitthemen auf den Grund zu gehen: Sind wir in Zukunft Kranke oder Kunden? Wie hilft uns die digitale Technik in Zukunft unsere Gesundheit zu überwachen? Wie kann uns die bildgebende Diagnostik bei der Vorsorge helfen? Können Gentests bessere Therapieerfolge bringen? Und wie sieht es mit IGeL aus? Sind Frauen durch die Pille, PDI und Pränataldiagnostik wirklich freier?

 

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FRAUENSACHE – DIE SELBSTBESTIMMTE WEIBLICHKEIT


Mehr als 50 Jahre dauert bereits die Revolution. Sie begann mit der Pille und endet sicher nicht mit der PID. Auf der einen Seite ermöglichen die medizinischen Fortschritte der letzten Jahrzehnte den Frauen soziale und sexuelle Freiräume, die vorher undenkbar gewesen wären. Auf der anderen Seite fachen sie ethische Diskussionen an, die Päpste und Politiker gleichermaßen fordern. Bei keiner anderen medizinischen Richtung sind gesundheitliche und gesellschaftliche Aspekte so miteinander verzahnt wie bei der Frauenheilkunde. Eine Zeitleiste der wichtigsten Einschnitte


1960 Die Entdeckung der Pille

Wie eine große Entschuldigung klang es, als der Mitarbeiter der US-Zulassungsbehörde, John Harvey, am 9. Mai 1960 die Genehmigung von Enovid, der ersten Verhütungspille, bekannt gab: „Die Zustimmung basiert auf der Sicherheit. Unsere Vorstellungen von Moral haben damit nichts zu tun.“ Um den Widerstand einer extrem konservativen Ärzteschaft zu umgehen, bediente sich die pharmazeutische Industrie eines Tricks: Die ersten Pillenpräparate wurden nicht als Verhütungsmittel, sondern als Medikament gegen Menstruationsbeschwerden abgegeben – und zudem nur an verheiratete Frauen. Doch der Siegeszug der hormonellen Verhütung war nicht mehr aufzuhalten. Ein Jahr später führte die Firma Schering mit dem Präparat Anovlar die Antibabypille in Deutschland ein. Es war der Startschuss für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau: Jetzt konnten Frauen zum ersten Mal allein darüber entscheiden, ob und wann sie schwanger werden wollten – und das im Prinzip auch ohne das Wissen ihres Sexualpartners.

Unter uns Studentinnen hatte sich die Nachricht von dem Arzt am Weidmarkt, der unverheirateten Frauen die Pille verschrieb, schnell rumgesprochen. Das war 1966. Ich war 21 Jahre alt und gerade nach Köln gezogen. Ich wollte meine Freiheit genießen, studieren und ich wollte Jochen – aber noch nicht sein Baby. Als ich zu dem Arzt ging, war ich aufgeregt. „Du verlangst ja nichts Unanständiges“, dachte ich mir. Oder doch? Wie hitzig war über das Medikament diskutiert worden. „Die Antibaby-Pille öffnet der Unzucht Tür und Tor, hieß es in der Presse. 1968 dozierte sogar noch Papst Paul VI, genannt der Pillen-Paul, in seiner Enzyklika ‚Humanae Vitae’ über „die rechte Ordnung der Weitergabe von Leben“. Auch ich machte mir Gedanken, aber nicht wegen der Moral, sondern wegen der Nebenwirkungen, denn die Anti-Babypille war stark dosiert. Ich nahm 10 Kilo zu und es hieß sogar, das Medikament könne unfruchtbar machen. All das nahm ich für meine Selbstbestimmtheit in kauf. Als 1979 mein Sohn zur Welt kam, war er ein Wunschkind. Jochen und ich sind bis heute ein Paar. Und das haben wir vielleicht auch der Pille zu verdanken. Durch sie hatten wir die Möglichkeit, unser Leben nach unseren Wünschen zu gestalten.

Doris Sasse (66) aus Köln

Weder Einsteins Relativitätstheorie noch die Beatles, ja nicht einmal die Macht von Computer und Internet hätten die Gesellschaft des 20. Jahrhunderts stärker verändert als die Pille, so das Fazit von 200 führenden Historikern zum 50jährigen Geburtstag der Antibabypille. Weltweit nehmen heute etwa 100 Millionen Frauen die Pille ein. Laut einer repräsentativen Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist sie das meistbenutzte Verhütungsmittel deutscher Frauen: Mehr als jede zweite Befragte gab an, damit zu verhüten. Gewählt werden kann mittlerweile aus rund 200 verschiedenen Präparaten allein auf dem deutschen Markt. Die Original-Pille, Enovid, verschwand erst 1988 vom US-Markt.

1965 Erstes Echtzeit-Ultraschallgerät

„Heute ist ein schöner Tag, ich habe schon dein Herz ganz schnell klopfen gesehen und du hast dich sogar schon bewegt *freu*. Die Ärztin sagt alles ist ok und dir scheint es gut zu gehen...“, schreibt Tinscheee88 in ihrem Blogeintrag auf dem Online-Portal gofeminin.de. Möglich gemacht haben dieses nahe Mutter-Kind-Erlebnis ein findiger Techniker und ein fortschrittlicher Arzt. Der Erlanger Siemens-Ingenieur Richard Soldner entwickelte 1961 das erste Echtzeit-Ultraschallgerät der Welt, das Vidoson. Der Assistenzarzt Hans-Jürgen Holländer setzte es 1965 in einer Untersuchungsreihe an der Frauenklinik der Universitätsklinik Münster als Erster ein. Holländer konnte mit dem Gerät nicht nur die Bewegungen eines Föten, insbesondere die seines Herzens, in Echtzeit beobachten. Auch diagnostische Information wie die Lage des Embryos und der Plazenta, die Größe des kindlichen Kopfes sowie das Vorliegen von Zwillingsschwangerschaften oder das Vorhandensein von Tumoren und Zysten ließen sich frühzeitig und mit hoher Sicherheit erkennen. Die Pränataldiagnostik, kurz PND, war geboren. Frauen können seitdem alle Stadien ihres Kindes genau mitverfolgen - und nehmen diese Möglichkeit auch mehr als gern in Anspruch. Nur 15 Prozent der schwangeren Frauen verzichten ganz auf PND, so eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Die deutliche Mehrheit nutzt sogar mehr Untersuchungen als ihre Krankenkasse bezahlt. Die häufigste und wichtigste PND-Methode ist noch immer der Ultraschall: Über 70 Prozent der Schwangeren hatten zusätzlich zu den drei in den Mutterschaftsrichtlinien empfohlenen Ultraschalluntersuchungen mindestens eine weitere zum Ausschluss von Fehlbildungen.

Heute würde ich keine Untersuchung mehr machen, nichts. Ich würde mit keinem telefonieren. Ich würde warten, bis die zwölfte Woche rum ist. Und nur wenn ich Schmerzen hätte, würde ich zum Arzt gehen und eventuell einen Ultraschall machen lassen. Ich würde einfach gar nichts mehr machen und auf Gott vertrauen.

Marianne Neeb, die nach der Diagnose „Downsyndrom“ ihren Sohn Lysander abgetrieben hat und ein Buch darüber schrieb

Auch die Messung der Nackentransparenz, Fruchtwasseruntersuchung oder die Entnahme von kindlichem Gewebe gehört für viele Frauen zur Voruntersuchung wie selbstverständlich dazu. Doch dass das penible Wissen um den Zustand des Fötus bringt auch kritische Situationen mit sich. Mütter, die durch PND von einer Krankheit oder Behinderung ihres Babys erfahren, müssen schnell entscheiden, ob sie ihr Baby zur Welt bringen wollen oder nicht. Die Antwort fällt fast immer gegen das Ungeborene aus: 90 Prozent der Frauen, bei deren Baby ein Downsyndrom diagnostiziert wird, lassen die Schwangerschaft beenden.

1971 Abtreibung als Recht

„Wir haben abgetrieben!“ Diese Schlagzeile auf dem Cover des Stern am 6. Juni 1971 schlug ein wie eine Bombe. 374 Frauen gaben in dem Artikel zu, gegen das damals geltende Recht verstoßen zu haben, darunter viele Prominente und bekannte Schauspielerinnen. Sie stellten sich gegen den Paragraphen 218 des deutschen Strafgesetzbuches, der es der Frau verbot, auf legalem Wege abzutreiben. Die von der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer initiierte Aktion brach das Tabuthema und löste eine Debattenwelle aus. Nach mehr als 100 Jahren wurde schließlich das Gesetz geändert.1974 verabschiedete der Bundestag eine Fristenregelung, die das Bundesverfassungsgericht 1975 als unvereinbar mit dem Grundgesetzt bezeichnet. 1976 tritt dann die Kompromisslösung des Paragraph 218 in kraft, die bis heute Bestand hat. Seit 1996 gilt in Deutschland die Beratungsregelung. Positive Bilanz: Die Bereitschaft, ein Kind zu behalten, steigt kontinuierlich. Laut dem Statistischen Bundesamt sank die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche von 2010 auf 2011 um drei Pozent.

Als in einer Aufsehen erregenden Titelgeschichte des „Stern“ Frauen sich öffentlich dazu bekannten, abgetrieben zu haben, brach für meine Mutter eine Welt zusammen. Für sie waren diese Frauen Mörderinnen. Senta Berger, Romy Schneider und auch Vera Tschechowa – konnte sie diese Frauen noch verehren? Ich habe es daraufhin nicht geschafft, ihr zu beichten, dass ich mich selbst gegen ein Kind entschieden hatte. Zwei Jahre vorher war ich ganz allein nach Holland gefahren, um dort eine Ausschabung vornehmen zu lassen. Ich hatte unglaubliche Angst, denn es schien nicht ungefährlich zu sein. Eine Kommilitonin wäre fast dabei gestorben, als sie in Heidelberg zu einer ‚Engelmacherin’ gegangen war. Für mich waren die Frauen im „Stern“ Heldinnen. Ich war froh, dass endlich dieses Tabu gebrochen war, denn ich wollte über mich und meinen Körper selbst bestimmen. Ich schloss mich danach einer Frauengruppe an, deren zentrale Forderung es war, den Paragraphen 218 abzuschaffen.

Dagmar Weber (65) aus Berlin

Eine Schwangere, welche ihre Frucht vorsätzlich abtreibt oder im Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnisstrafe nicht unter 6 Monaten ein. Die selben Strafvorschriften finden auf denjenigen Anwendung, welcher mit Einwilligung der Schwangeren die Mittel zu der Abtreibung oder Tötung bei ihr angewendet oder ihr beigebracht hat.

Reichsstrafgesetzbuch, § 218 vom 15. Mai 1871

Weltweit sind immer ein Drittel aller Schwangerschaften ungeplant und etwa ein Fünftel aller schwangeren Frauen entscheiden sich zu einem Abbruch,entscheidet, in Deutschland sind es nur etwa 14 %. Wobei heutzutage kaum noch eine Frau hierzulande an dem Eingriff stirbt. Vor einigen Jahren schrieb Alice Schwarzer dazu in der „Zeit“: „Es ging nicht etwa um die Propagierung der Abtreibung, sondern es ging nur um die Humanisierung der Umstände unvermeidbarer Abtreibungen. Eine Frau, die abtrieb, hatte entweder das Geld für die Schweiz – oder sie riskierte ihre Würde und so manches Mal auch ihr Leben bei illegal abtreibenden Ärzten und auf dem Küchentisch von Engelmacherinnen.“ In anderen Ländern sieht das noch anders aus: Laut der WHO sterben bei den jährlich weltweit auf 40 Millionen geschätzten Abbrüchen mehr als 70 000 Frauen.

1975 Schneller Schwangerschaftstest mit Hormon-Nachweis

Schwanger oder nicht schwanger, diese Frage bewegte die Frauen seit Menschengedenken. Das Verhütungsmuseum in Wien stellte eindrucksvoll all die unglaublichen Ansätze zusammen, die sich in den vergangenen Jahrhunderten angesammelt haben. So mussten die Frauen im alten Ägypten einen Brei aus Bier und Datteln essen. Erbrachen sie, zählte das als Schwangerschaftsbeweis. Bis ins 18. Jahrhundert galt in Frankreich die ‚Knoblauchprobe‘ als Indiz: Über Nacht wurde eine Knoblauchzehe in die Scheide gesteckt. Wenn die Frau am Morgen nicht nach Knoblauch aus dem Mund roch, war das ein Positiv-Test. Es wurde auch viel mit Tieren experimentiert wie Hasen, Mäusen und Regenwürmern. Der Galli-Mainini-Froschtest oder -Krötentest war bis weit in die 60er Jahre Standard. Jede gynäkologische Abteilung hatte Frösche im Labor . Den Fröschen wurde etwa ein Milliliter Harn der Frau unter die Rückenhaut gespritzt. Haben nach einigen Stunden die weiblichen Frösche Eier abgelegt und die männlichen Tiere Spermien produziert, war die Frau zu 99 Prozent schwanger. Da diese Tests aufwendig waren, suchte die Forschung nach anderen Lösungen. In den 60ern wurden bereits die ersten immunologischen Testverfahren zur Bestimmung des Schwangerschaftshormons hCG eingeführt – mit mäßigem Erfolg.

Als bei mir die Regel ausfiel, konnte ich es kaum erwarten. Ich kaufte mir einen Schwangerschaftstest und lief gleich in das Cafè gegenüber der Apotheke und schloss mich auf der Damentoilette ein. Es waren wahrscheinlich die angespanntesten Minuten meines Lebens. Als dann der zweite rosa Strich im Feld auftauchte, war es wie ein Kick für Herz und Hirn, der Puls raste für einen kurzen Moment, und dann war mir erst klar, jetzt wird sich mein Leben schlagartig ändern. Ich war also wirklich schwanger. Und überglücklich. Was für eine Erleichterung, dass eine Frau allein und erstmal ohne Beisein eines Arztes einen solchen Test durchführen kann. Es ermöglicht eine Form und einen Moment ganz weiblicher Intimität.

Bettina Rackow-Freitag (42) aus München

Der Durchbruch kam 1975. Mit monoklonalen Antikörpern konnte erstmalig verlässlich zwischen dem Schwangerschaftshormon hCG und dem Hypophysenhormon LH unterschieden werden. Erst die patentierten Tests der britischen Firma Unipath konnten ab 1980 mit einer Zuverlässigkeitsrate von ca. 95% aufwarten. Seit Mitte der 80er Jahre ist der Stäbchentest für daheim nunUsus. Heutzutage werden bereits so sensible Schnelltests angeboten, die schon zehn Tage nach Empfängnis ein erstes Ergebnis liefern sollen.

1978 Erste künstliche Befruchtung

Ein lauter Schrei und das Baby ist da: 2600 Gramm schwer, 49 Zentimeter lang, blauäugig, kerngesund - scheinbar ein ganz normales Neugeborenes. Dennoch war die Geburt der kleinen Louise Joy Brown im nordenglischen Oldham alles andere als alltäglich: Sie ist das erste Retortenbaby der Welt. Wissenschaftlicher Vater der Sensation am 25. Juli 1978 und mittlerweile Träger des Medizin-Nobelpreises ist Robert Geoffrey Edwards. Ihm gelang es, eine Eizelle außerhalb der Gebärmutter mit Spermien zu befruchten. Durch ihn fanden Louises Eltern Lesley und John Brown ihr Baby-Glück - nach neun Jahren vergeblicher Mühe, auf normale Weise schwanger zu werden. Mit diesem medizinischen Erfolg gab der Wissenschaftler auch anderen ungewollt kinderlosen Paaren neue Hoffnung. Nach wie vor eine zerbrechliche: Statistisch gesehen führt noch heute nicht einmal jeder dritte Versuch einer künstlichen Befruchtung zu einer erfolgreichen Schwangerschaft.

Als ich meinen Mann kennenlernte, war mir klar, ich will mit ihm eine Familie gründen. Auch wenn er die 60 schon überschritten hatte, war es für ihn kein Thema. Doch es klappte nicht. Unmengen Untersuchungen ließen wir über uns ergehen, schauten, woran es liegen könnte. Schließlich versuchten wir es zweimal mit künstlicher Befruchtung. Auch wenn es nicht geklappt hat, wir finden es einen Segen, dass es diese Möglichkeit gibt. Wir kennen Paare, die selbst glückliche Eltern auf diesem Wege geworden sind. Wir haben es hinter uns, es war eine harte Phase, die uns aber als Paar letztendlich noch enger zusammengeschweißt hat. Wir haben wirklich das Gefühl, das wir alle Möglichkeiten genutzt haben.

Bettina A. Siewert (42) aus Frankfurt

In Deutschland dauerte es noch vier Jahre bis mit Oliver 1982 in der Universitäts-Frauenklinik Erlangen das erste Baby durch künstliche Befruchtung zur Welt kam. Was damals als Werk des Teufels, Superbabe oder Frankensteins Erben durch die Medien ging, ist heute gesellschaftlich akzeptiert: Laut einer Studie der Marktforschungsgruppe GfK ist für 82,5 Prozent der Deutschen künstliche Befruchtung nichts Außergewöhnliches mehr. 52,5 Prozent würden sie sogar selbst in Anspruch nehmen. Das englische Retortenbaby Louise hat übrigens Ende 2006 selbst ein Baby bekommen - auf ganz natürlichem Wege.

2000 Kaiserschnitt auf Wunsch

Popdiva Madonna hat es schon vor 11 Jahren getan, Schauspielerin Liz Hurley tat es 2002, Model Claudia Schiffer folgte 2003, Polit-Moderatorin Sandra Maischberger 2007 und Sängerin Celine Dion 2010 - das Jahrzehnt der Wunsch-Kaiserschnitte. Sie alle wollten den Geburtstermin ihres Kindes selbst bestimmen, die Schmerzen einer natürlichen Geburt nicht auf sich nehmen oder unschöne Schwangerschaftsverformungen vermeiden. Ex-Spice-Girl Victoria Beckham und ihr Mann David planten die Geburt ihrer Tochter Harper Seven für den 4. Juli 2011 – passend zum Hochzeitstag des Paares und dem amerikanischen Unabhängigkeitstag. Es war der vierte Kaiserschnitt für die 37-Jährige. „Too posh to push! – Zu vornehm zum Pressen“, spöttelte die Presse. Doch es zeigt einen Trend: Laut einer Analyse des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen wurde 2010 fast jedes dritte Baby (32 Prozent) per Kaiserschnitt geboren - mehr als doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt nur eine Kaiserschnittrate von 15 Prozent.

Schon lange hatten wir den Umzug nach Boston geplant. Mein Mann war schon ein Jahr dort und pendelte zwischen Deutschland und den USA. Ich wollte mit den beiden Kindern nachkommen. Als der Streifen im Schwangerschaftstest rot wurde, war ich platt. Nach Aussagen des Arztes sollte das Kind genau in der heißen Phase kommen. Es war wirklich alles auf den Tag geplant. Aufgabe der Wohnung, letzter Schul- und Kindergartentag, der Termin für das Umzugsunternehmen – das war schon eine logistische Herausforderung. Und nun noch das. Ich malte mir zudem aus, wie ich mit meinen beiden Töchtern unterwegs mit Wehen im Flugzeug sitze. Ich fragte schließlich nach einem geplanten Kaiserschnitt. Auch wenn keine medizinische Indikation vorlag, war es letztendlich kein Problem. Alles lief glatt. Es war wirklich ein Segen. Ich war so nicht dem Zufall ausgeliefert, sondern konnte in dieser planungsreichen Zeit unseres Familienlebens die Zügel selbst in die Hand nehmen.

Kerstin Stegemann (48) aus Boston

Das Überraschende: Eine Studie der Universität Bremen stellte fest, dass nur zwei von hundert Gebärenden sich von vornherein für den Schritt entschieden hatten. Oft sind es die Ärzte, die aus Sicherheitsgründen zu einem Kaiserschnitt raten. Denn: Frauen werden immer später Mütter. Die Geburtenrate der 40- bis 44-Jährigen stieg in den letzten Jahren um 46 Prozent, wie eine aktuelle Auswertung der KKH-Allianz Krankenkasse zeigt. Und mehr Risikoschwangerschaften heißt automatisch mehr Kaiserschnittgeburten.

2004 Sterilisation als Verhütungsmethode

„Ab 18 Uhr des Vortages nichts essen und nicht rauchen, sechs Stunden vor der Operation nichts trinken, am Operationstag keine einengende Kleidung anziehen. Sie können nach 4-8 Stunden die Klinik verlassen. Kontrolle und Nahtentfernung in einer Woche. Kosten rund 1.000 Euro.“ Was sich auf der Webpage einer Privatklinik wie ein lapidarer Eingriff anhört, sollte überlegt werden. Denn eine Tubenligatur ist selten wieder rückgängig zu machen. Doch immer mehr Frauen entscheiden sich für eine freiwillige Unfruchtbarkeit: Entweder weil die Familienplanung abgeschlossen ist oder weil die Frau komplett auf hormonelle Verhütung verzichten und ihre Sexualität ohne Konsequenzen ausleben möchte. In den USA und Indien ist die Durchtrennung der Eileiter bereits die primäre Verhütungsmethode. In Deutschland, so schätzen Experten, unterziehen sich jährlich rund 40.000 Frauen einem solchen Eingriff. 2008 waren Hierzulande etwa 1,45 Millionen Frauen sterilisiert. Auf den ersten Blick sind die Vorteile einer Sterilisation bestechend, denn die Methode ist zuverlässig: Nur jede Tausendste sterilisierte Frau wird schwanger. Problem: Fünf bis zehn Prozent bedauern im Nachhinein ihren Entschluss, schätzt der Berufsverband der Deutschen Frauenärzte. Rund ein bis drei Prozent der sterilisierten Frauen versuchen sogar die Operation wieder rückgängig zu machen. Studien belegen: Am zufriedensten mit ihrem Entschluss sind Paare, die schon mehrere Kinder haben und bei der Sterilisation älter als 35 Jahre alt sind. Seit 2004 tragen die Krankenkassen die Kosten für die Sterilisation nur noch bei einer medizinischen Notwendigkeit - Sterilisation zu Verhütungszwecken sei Privatsache der Frau.

2011 Gentests an künstlich befruchteten Embryonen

In den vergangenen Jahrzehnten gab es wohl wenige Themen, die im Bundestag so kontrovers und vor allem so emotional diskutiert wurden wie die neue Gesetzesregelung zur Präimplantationsdiagnostik, kurz PID. Für die einen ist es der erste Schritt zur Produktion von hochbegabten Wunschkindern mit blauen Augen, für die anderen die humane Alternative zur PND mit ihren bitteren Konsequenzen der Spätabtreibung. Nach vierstündiger Debatte stimmten die Parlamentarier am 7. Juli 2011 für die begrenzte Zulassung der PID. Künftig dürfen Paare künstlich erzeugte Embryone untersuchen lassen, wenn aufgrund ihrer genetischen Veranlagung eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind oder eine Tot- bzw. Fehlgeburt wahrscheinlich ist. Danach werden nur gesunde Embryonen in die Gebärmutter eingesetzt. Diese begrenzte Zulassung von Gentests soll den jährlich rund 200 Betroffenen in Deutschland die Chance auf ein gesundes Kind ermöglichen. Wie groß die Not solcher Paare in Ländern ohne zugelassener PID ist, zeigen die Zahlen des größten belgischen Zentrums für Reproduktionsmedizin, der Uniklinik Brüssel: Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung belegt, dass die Hälfte der Patientinnen, die sich dort einer PID unterziehen, aus Deutschland und Frankreich stammen. Neben Belgien wird auch in Großbritannien und den USA PID schon seit fast zwei Jahrzehnten praktiziert. Und auch in der Bevölkerung hat sich ein Wandel vollzogen: Drei von vier Deutschen befürworten unter bestimmten Umständen die PID, ergab eine repräsentative Umfrage des Demoskopie-Instituts emnid. Allerdings darf nicht die betroffene Frau oder ihr Partner über eine Genuntersuchung entscheiden: Eine Ethik-Kommission stimmt über jeden einzelnen Fall ab. Und auch die Entscheidung gegen eine PID muss eine Frau heutzutage verantworten, wenn man das Szenario, das die PID-Gegnerin und SPD-Politikerin Elke Ferner auf ihrer Webpage malt, weiterspinnt: „Wir möchten nicht, dass Eltern, die sich für ein Kind mit Behinderung entscheiden, sich vorhalten lassen müssen, „mit PID wäre das nicht passiert.“ Barbara Denk, Mitarbeit: Gaby Herzog, Bettina Rackow-Freitag

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"Das darfst du nicht, sonst wirst du noch dicker"

SuessDer Blick auf die Waage sollte keine Qual sein – erst recht nicht im Kindesalter! Gesunde Ernährung und das Gespür, was dem Körper gut tut, sollten bereits Kinder erlernen. Mit welchen gesundheitlichen, gesellschaftlichen und psychischen Problemen übergewichtige Kinder kämpfen müssen, habe ich bei der Recherche für eine Reportage für t-online erarbeitet.

 

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Mirko (4) kämpft gegen Übergewicht

"Das darfst du nicht, sonst wirst du noch dicker"


Rund jedes fünfte Kind in Deutschland hat Übergewicht. Der vierjährige Mirko ist einer von ihnen. Seine Mutter versucht alles, damit ihr Sohn abnimmt. Doch es ist ein mühsamer Weg. Spezielle Programme, Ernährungsberatung oder Selbsthilfegruppen können helfen.

Wenn es Eis für alle gibt, soll Mirko* zuschauen. Wenn bei einem Kindergeburtstag Torte und Schokoküsse auf den Tisch kommen, kriegt der Vierjährige nur ein kleines Stück ab. Und wenn seine Oma ihm ein Bonbon gibt, weiß sie, das er es eigentlich nicht haben darf. Sonst schafft es Mirko nicht, abzunehmen. Bei einer Körpergröße von 110 Zentimetern wiegt er bereits 35 Kilo. Zwischen 17 und 21 Kilo wiegen in der Regel seine Altersgenossen. Mirkos Body-Mass-Index liegt rein rechnerisch bei 28. Bei einem BMI von mehr als 30 spricht man bei Erwachsenen von Adipositas, also Fettleibigkeit. Doch der BMI eines Kindes lässt sich nicht so einfach errechnen, er muss mit der Wachstumskurve des Kindes verglichen werden, zudem spielen Alter und Geschlecht eine Rolle.

Hänseleien im Kindergarten

Mirko kämpft nicht nur mit seinen Pfunden, sondern auch mit seinem Umfeld. "Na, Möppelchen", begrüßt ihn der Hausmeister im Kindergarten. Wegen seines Körperumfangs erduldet er ständig Hänseleien. Gibt es mal Pommes, nehmen ihm die anderen Kinder die Mayonnaise weg: "Das darfst du nicht, sonst wirst du noch dicker." Auch wenn es nicht immer böse gemeint ist - Mirko trifft es hart.

Seine Mutter Renate* versucht, ihren Sohn aus der Übergewichtsspirale rauszuholen. Ihre beiden älteren Töchter sind ebenso schlank wie sie, nur der Kleinste in der Familie hat starkes Übergewicht. Der Junge hat ständig Appetit. Holt ihn seine Mutter vom Kindergarten ab, ist die erste Frage: "Was gibt es zu essen?" Daheim schaut er sofort in die Küche und wird ärgerlich, wenn noch nichts auf dem Tisch steht. Es wird rationiert, portioniert und diskutiert, was für die ganze Familie anstrengend ist. Und abends macht die Mutter öfters eine Bettkontrolle, um zu schauen, ob Mirko Essen unter dem Kopfkissen gebunkert hat.

Trotz Bewegung steigt das Gewicht

Renate kann es sich nicht erklären, warum ausgerechnet Mirko so dick geworden ist. "Lag es an der H-Milch, die wir ihm schon als Baby in die Flasche gegeben haben?" Ihre drei Kinder bekommen das gleiche Essen, Süßes gibt es nur in Maßen und die Bewegung kommt nicht zu kurz. Im Sommer sind die Kinder viel draußen unterwegs. Im Garten steht eine Schaukel, Inline-Skates und Fahrräder stehen in der Ecke. "Wir haben uns sogar einen Hund angeschafft", erzählt die Mutter.

Kampf mit Anträgen, Vorurteilen und Finanzen

Als die 30-jährige in ihrer Verzweiflung in eine Klinik geht, stellt der Kinderarzt bei Mirko Bluthochdruck fest. "Der Junge sitzt sicher den ganzen Tag mit Chips vor dem Fernseher", mutmaßt der Mediziner. Doch die Familie besitzt noch nicht mal einen Fernsehapparat und Chips gibt es sehr selten. Man schickt Renate mit Mirko zu einem Psychologen. Als die Altenpflegerin es aus zeitlichen Gründen nicht schafft, die Therapiestunden aufzusuchen, wird ein Antrag für eine Reha-Maßnahme für sie und ihren Sohn abgelehnt. "Mit meinem Beruf und drei Kindern sind wöchentliche lange Fahrten ohne Hilfe nicht zu bewältigen", klagt Renate. Die Familie wohnt in einem Vorort von Hamm auf dem Land. Andere Bemühungen, wie die Anmeldung in einem Sportverein scheiterten am Geld. "Die Krankenkasse wollte uns nur einen kleinen Zuschuss geben. Den Restbetrag konnten wir uns einfach nicht leisten."

Eine Selbsthilfegruppe hilft Mirko

Als die Ernährungsberaterin Stefanie Thouret eine Selbsthilfegruppe für übergewichtige Kinder in der Nähe von Hamm anbietet, meldet Renate sich und ihren Sohn sofort an. Mirko ist der Jüngste in der Gruppe, die älteste Teilnehmerin ist 17 Jahre alt.

Thouret erklärt den Eltern und Kindern die Ernährungspyramide. Süßes und Fettreiches steht ganz oben in der Pyramide, sie gehören nur in geringen Mengen zu einem ausgewogenen Speiseplan. Gemüse, Obst, Wasser und Tee bilden den breiten unteren Teil der Pyramide. Sie sollten den Großteil der täglichen Ernährung ausmachen. Jede Woche kocht Thouret mit den Kindern. Toben und Sport stehen ebenfalls auf dem Plan. In dieser Runde können die Kinder ohne Druck und Spott lernen, wie sie richtig mit Essen umgehen.

Eine Magenverkleinerung ist häufig der letzte Ausweg

Stefanie Thouret kennt das Problem ihrer Schützlinge aus eigener Erfahrung. Sie war selbst seit ihrer Kindheit adipös. Vor rund drei Jahren entschloss sie sich zu einem Magenbypass. Dabei wird ein großer Teil des Magens abgetrennt und der Dünndarm an den kleinen Restmagen angeschlossen. Der Patient kann danach nur noch geringe Mengen Nahrung pro Mahlzeit aufnehmen. Für die Fleischfachverkäuferin begann nach der leidvollen Zeit im Krankenhaus ein neues Leben: Erst nahm sie drastisch ab. Doch sie änderte nicht nur ihr Essverhalten, sondern auch ihren Beruf. 2013 schloss sie ein Studium als Ernährungsberaterin ab.

Jetzt schickt das Jugendamt sie zu Familien mit adipösen Kindern, um diese zu beraten. "Höchstens bei drei Prozent der Kinder liegt eine hormonelle oder gesundheitliche Störung zugrunde. Meist ist falsches Essverhalten der Grund, anerzogen durch die Eltern", stellt sie immer wieder fest. Dazu gehört eine zu kalorienreiche Babykost. "Viele Eltern drücken ihren kleinen Kindern ständig Brezeln oder Kekse in die Hand. Oft gibt es keine festen Essenszeiten und Erfolge werden mit Süßigkeiten belohnt." So lernen Kinder nicht, mit Hungergefühlen umzugehen.

Ohne eine Umstellung des Speiseplans klappt es nicht

In ihren Beratungsstunden setzt sich Thouret erst mal mit den Familien zusammen. Oft sind mehrere von Adipositas betroffen. Dann wird der Speiseplan umgestellt. Bei Mirko kommt seitdem statt Weißbrot nur noch Vollkornbrot auf den Teller - das stillt länger den Hunger und ist gesünder. Butter wird durch Frischkäse ersetzt, dazu gibt es keine Billigsalami mehr, sondern magere Putenbrust. Kleine Veränderungen, die in der Summe große Wirkung zeigten. Mirko nahm innerhalb von zwei Monaten fünf Kilo ab.

Doch seitdem die Selbsthilfegruppe pausiert, geht das Gewicht wieder hoch. Ein Grund ist die mangelnde Unterstützung im Kindergarten. "Ich habe keine Kontrolle, was Mirko im Kindergarten isst. Getränke wie Kakao stehen den Kindern frei zur Verfügung", klagt Renate. "Da können es auch mal fünf Tassen pro Tag werden." Leider sind die Kindergärtnerinnen mit dem Thema überfordert und schauen nicht nach Mirko.

In der Schulzeit nehmen die Probleme zu

Bald kommt Mirko in die Schule - dort wird es meist noch schwieriger für Kinder wie ihn. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung spricht von bis zu 23 Prozent übergewichtiger Schulanfänger. Rund drei bis fünf Prozent sind adipös. Bei vielen übergewichtigen Kindern entsteht ein Teufelskreis: Mehr Körpergewicht führt oft zu weniger Bewegung, dadurch werden weniger Kalorien abgebaut. Durch die Passivität entwickeln sich Motorik und Koordination schlechter, Sport macht dann weniger Spaß und wird vermieden.

Hinzu kommen meist seelische Probleme. Je mehr übergewichtige Kinder unter Hänseleien von Mitschülern leiden oder ausgeschlossen werden, umso größer ist die Gefahr, dass sich die Kinder zurückziehen und noch mehr essen. Gesundheitliche Folgen des Übergewichts: Bluthochdruck, Diabetes, orthopädische Probleme wie Knieschmerzen, Bandscheibenbeschwerden, Leberverfettung und Herz-Kreislauferkrankungen - und zwar schon im jungen Alter.

Es gibt viele Gesundheitsprogramme

Spezielle Gesundheitsprogramme sollen den Kindern helfen: FITOC, Moby Dick , Obeldicks oder Adi-Fit heißen solche Kurse, die meist von den Krankenkassen bezuschusst werden. Dabei soll das Gewicht nachhaltig reduziert und Motivation und Selbstbewusstsein gestärkt werden. Es geht darum, neue Verhaltensweisen in Bezug auf das Essen zu lernen oder die Selbstkontrolle zu schulen, damit ein Rückfall in alte Muster die Fortschritte nicht wieder zerstört. Die Programme laufen mindestens über ein Jahr. Meist kümmern sich Ernährungsberater (Oecotrophologen), Kinder- und Jungendärzte, Diätassistenten, Physiotherapeuten oder Sportlehrer um die Kinder.

Die ganze Familie muss mitmachen

Zusätzlich werden die Eltern eingebunden. "Ohne das familiäre Umfeld gelingt der Weg aus dem Übergewicht nicht", erklärt der Kinder- und Jugendarzt Martin Wabitsch. Er arbeitet an der Universität Ulm in der Adipositasforschung und leitet das Projekt "Jugendliche mit extremer Adipositas". Seine Erfahrung: Bei allem Einsatz und guten Vorsätzen, haben die Programme nicht immer den gewünschten Effekt. Übergewicht ist eine extrem vielschichtige Krankheit.

"Die Jugendlichen haben oft eine Odyssee hinter sich", weiß der Professor. Bisher gab es keine individuelle Anlaufstelle für Übergewichtige in dieser Altersspanne. An der sogenannten "JA-Studie" nehmen bundesweit 300 Jugendliche teil, die älter als 14 Jahre alt sind und meist eine Berufsausbildung suchen. "Als übergewichtiger Mensch ist es sehr schwer, überhaupt eine Stelle zu finden." Wenn die Adipositas extrem ausgeprägt ist, bleibt eine gewichtsreduzierende Operation meist als einziger Ausweg. "Wir beraten und begleiten die jungen Menschen auf diesem schweren Weg", so Wabitsch.

Abnehmen beginnt im Kopf

Diskriminierung ist bei Jugendlichen mit Übergewicht an der Tagesordnung. "Meist wird ihnen die Schuld zugewiesen, dass sie so dick geworden sind", bedauert Wabitsch. "Doch Abnehmen ist extrem schwer", stellt der Wissenschaftler klar. Dreh- und Angelpunkt ist die Psyche des jungen Menschen. "Wir versuchen, erstmal das Selbstvertrauen und das Selbstbild zu stärken. Es geht nicht allein um die Reduktion des Übergewichts." Abnehmen beginnt im Kopf und nicht nur im Bauch. Und es ist ein sehr harter, schwerer Weg, der Jahre oder gar ein ganzes Leben dauert.

Auch Mirko hat diese Erfahrung schon gemacht. Mit der Unterstützung seiner Familie hat er frühzeitig den Anfang geschafft. Seine Eltern und Geschwister helfen ihm auf dem Weg zu einem Normalgewicht. "Es braucht viel Durchhaltevermögen für uns alle", sagt seine Mutter.

 

*Name von der Redaktion geändert

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Gesund mit allen Sinnen

Ayurveda GongtitelEine zweiteilige Serie und Titelgeschichte über Ayurveda für die Zeitschrift Gong hat mir persönlich viel geschenkt. Die indische Sichtweise auf ein gesundes Leben, die individuelle Ausrichtung nach der persönlichen Anlage und Typisierung nach den Doshas fand ich sehr überzeugend. Die Idee, Krankheiten nicht zu heilen, sondern schon im Vorfeld zu verhindern, in dem man auf seine Schwächen und Stärken und Ungleichgewichte im Körper achtet, hat mich überzeugt. Ich biete jetzt gemeinsam mit einer Yoga-Lehrerin Retreats in der Wildschönau an, koche auch mit Blick auf Ayurveda und lasse mich inspirieren.

 

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Gesund mit allen Sinnen


Collage

Vital sein ein Leben lang - die indische Heilkunst und Lebensphilosophie Ayurveda zeigt, wie wir Krankheiten vermeiden können

Monate lang fühlte sich Veronika M. (39) matt, angeschlagen und unkonzentriert. Der Tipp kam von einer Freundin: "Probier es mal mit Ayurveda!" Sie ließ sich von einer Therapeutin die Konstitution nach der indischen Lehre bestimmen. "Erst da begriff ich, dass ich gegen meine innere Natur lebe", stellte sie erstaunt fest. Sie bekam neben Ölanwendungen und Kräutern einen auf ihren Typus abgestimmten Ernährungsplan an die Hand. Sie lernte, dass Kaffee ihr als Vata-Typ schadet, weil er ihre innere Unruhe verstärkt. Statt kalte Speisen und Rohkost aß sie mehr Suppen und mehr Kohlenhydrate. Sie ging früher ins Bett und machte morgens ein paar Yogaübungen. "Der Effekt war beeindruckend. Nach ein paar Wochen kam die Lebensenergie wieder zurück."

Die Massagen haben wenig mit Wellness und Kosmetik zu tun

Als in den 90er-Jahren der Ayurveda Boom begann, ließ das Bild teurer vierhändiger Luxus-Ölmassagen kaum Platz für eine objektive Auseinandersetzung mit dem ältesten Heilsystem der Welt. Heute ist Ayurveda ein anerkannter Weg, um Menschen wie Veronika >vor Schlafstörungen, Immuntiefs oder chronischen Leiden zu bewahren. Besonders bei Stresssymptomen hilft die ayurvedische Lebensweise", betont Gisela Mieschendahl-Preuß Leiterin des Ayurveda-Zentrums Veda Villa. Sie weiß, warum viele Patienten unter Erschöpfungszuständen, dem gefürchteten Burn-out, leiden.Wir haben einfach verlernt, achtsam mit uns umzugehen und erste Warnsignale wahrzunehmen."

Uralte Schriften sind der Schlüssel zu mehr Wohlbefinden

Mit Esoterik hat Ayurveda nichts zu tun. Die "Wissenschaft vom Leben", wie es übersetzt heißt, ist eine handfeste Volksmedizin,deren Wurzeln Jahrtausende zurückreichen. Bis heute wird diese Gesundheitslehre stetig ergänzt. Rund fünf Jahre dauert das Ayurveda-Studium, das auch in die Geheimnisse der 11 000 indischen Heilpflanzen einführt. Die Mehrheit der indischen Bevölkerung lässt sich ayurvedisch behandeln.

Export in andere Kulturen. Der Einfluss auf die traditionelle chinesische und tibetische Medizin findet sich in vielen Ansätzen wiederSo basiert aucn Ayurveda auf mehreren Säulen: typengerechte Ernährung, eine ausgiebige Kräuterkunde, Bewegung mit YogaMeditation. Und Anwendungen mit warmen Sesam- oder auch medizinischen Kräuterölen, die einmassiert, in die Nase geträufeIt oder durch die Zähne gezogen werden. Entgiften, Verbessern der Verdauung und das Stärken der seelischen Balance sind Kern einer Ayurveda-Kur. Ein guter Stoffwechsel und die perfekte Aufnahme aller Nährstoffe aus dem Essen sind Ziel.

Wer den Körper und die Konstitution kennt, kann Krankheiten vorbeugen

Auch Schulmediziner sind zunehmend von diesem Prinzip überzeugt. Die Münchner Ärztin Ursula Martha Elster leitet neben ihrer Kassenpraxis das Ayurveda-VitalZentrum. "Die Grundidee ist ja die Prävention. Wer sich selbst kennt, weiß, was ihm gut tut und schadetbei dem haben Krankheiten auch viel weniger Chancen", ist die Ärztin überzeugt.

Balance der Elemente. Dafür bedarf es aber einer anderen Sicht der Dinge. Im Ayurveda ist der menschliche Körper nicht allein die Summe seiner Organe. Vielmehr besteht er aus den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Wie die Natur auch. In uns wirken diese Elemente in Form von drei Energien, den Doshas: Vata, Pitta und Kapha. Sie regulieren die Bewegung, den Atem und Stoffwechsel. Die Mischung dieser Kräfte ist unterschiedlich in uns angelegtDiese Konstitution begleitet uns ein Leben lang. Unsere Aufgabe ist es, dieses Dosha-Verhältnis in Balance zu halten. Gerät es aus dem Gleichgewicht, verdauen wir schlechter, und Gifte (Ama) sammeln sich an. Wir werden krank.

Weg zu sich selbst. Der erste Schritt zur Selbsterkennung ist die Typbestimmung. Ein langer Fragenkatalog zu körperlicher Erscheinung, Persönlichkeitsmerkmalen, Vorlieben und Lebensstil gibt Rückschlüsse. So sind leicht gebaute, zappelige Menschen eher Lufttypen (Vata), sportliche Menschen mit feurigem Gemüt zählen zu den Pitta-Typen. Die PulsDiagnose bringt weitere Anhaltspunkte. Ein schneller Puls steht eher für den Vata-Typ, ein langsamer Puls lässt eher auf den ruhigen Kapha-Typen schließen.

Unsere Aufgabe ist es, das Verhältnis der Doshas im Gleichgewicht zu halten

Jedem Typus sind auch Nahrungsmittel zugeordnet. Denn wie im Menschen wohnen die fünf Elemente auch Gemüse, Kräutern oder Gewürzen inne. Sie verstärken oder schwächen die Doshas im Körper. Während zum Beispiel Cayennepfeffer einem ohnehin schon feurigen Pitta-Typen nicht bekommt, ist er für den trägen Kapha-Menschen genau das Richtige. Süsses, Saures und Salziges reduzieren hingegen Vata. "Jede Nahrung ist auch Medizin", erklärt Eckart Fischer in seinem Buch. Er kocht im Parkschlösschen TrabenTrarbach, einem der bekanntesten Ayurveda-Kurhotels. Er ist überzeugt, dass die vedische Ernährungslehre sich mit jeder Landesküche kombinieren lässt. ,,wichtig ist der Ausgleich aller Doshas. Das funktioniert auch mit Rotkohl, Klößen und heimischen Gewürzen." Denn letztlich feuern auch Lust und Genuss das Verdauungsfeuer an.

Bettina Rackow-Freitag

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Die Kunst des Atmens - Bewusster Atmen, besser Leben

atmenFür das Weight Watchers-Magazin schrieb ich vor einigen Jahren einen Artikel über das Atmen. Er zeigt, dass wir das erste, was wir als Mensch in unserem Leben machen, viel zu sehr vernächlässigen. Aktive und tiefe Atmung lässt sich lernen und bringt dem Körper mehr Energie.

 

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Die Kunst des Atmens - Bewusster Atmen, besser Leben


Luft rein, verbrauchte Luft raus – mehr als 20 000 Mal am Tag machen wir es ganz automatisch. Doch Atmung ist mehr als nur ein Reflex. Wer lernt, bewusst zu atmen, kann Körper und Psyche besser regulieren.

Mit dem ersten Schrei in unserem Leben setzt unser wichtigste Reflex ein – die Atmung. 14 Mal pro Minute strömt rund ein halber Liter Luft in unsere Lungen, um den Lebensmotor in Gang zu halten. Jedesmal läuft eine Bewegungskette an, um Billionen von Zellen mit Sauerstoff zu versorgen. Das Zwerchfell senkt sich, die Bauchdecke wölbt sich, der Brustkorb weitet sich, wie in einer Saugpumpe wird die Luft durch die Nase und Bronchien bis hin zu den Lungenbläschen, eingezogen. Dort dockt der Sauerstoff an die roten Blutkörperchen an, um die Reise in den Körper anzutreten. Kohlendioxid wird im Gegenzug ausgeschieden. „Durch die Schwerkraft senkt sich danach der Brustkorb wieder, das Zwerchfell schwingt zurück und die Luft strömt von selbst heraus“, erklärt Helga Segatz, Atemtherapeutin in München. Die volle Flankenatmung in Bauch und Brust gleichermaßen ist dabei die ideale Art zu atmen.

Jeder Mensch atmet anders Das System ist aber anfällig. Bei zwei Drittel der Erwachsenen ist laut Experten dieser natürliche Rhythmus von Ein- und Ausatmen gestört und kann Kopfschmerz, Müdigkeit oder Schlafstörungen auslösen. Der Grund: Zu langes Sitzen, wenig Bewegung, Verspannungen, Ängste oder Stress. Hier setzt die Arbeit von Atemtherapeuten wie Helga Segatz an, um mit Übungen, Atemmassage und Atemgymnastik unser Luftmanagement zu verändern. Das stößt auch die Psyche an. In der Praxis von Helga Segatz geben sich manchmal harte Businessleute hemmungslos ihren Tränen hin. „Wenn wir das Weinen unterdrücken, wird die Bauchmuskulatur hart. Durch tiefe Atmung löst sich diese Anspannung“. Der erste Schritt dabei sei, sich über seine Atemmuster bewusst zu werden, so die Expertin. Atme ich durch die Nase oder den Mund? Mache ich Pausen und wie lange atme ich aus? „ Denn so wie wir leben und fühlen, formt sich der individuelle Atemfluss. Er ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Ob beim Rezitieren von griechischen Versen oder beim Singen von meditativen Mantra-Gesängen – die entsprechende Atmung bringt den Herzrythmus im Gleichklang zum Schwingen. Die Asiaten wussten bereits schon vor Jahrtausenden, dass die Atmung auch Großhirn, Geist und Gefühle beeinflussen kann, und nutzen dies im Tai Chi oder Qi Gong oder der Meditation auch als Werkzeug zur Tiefenentspannung.

Yoga – Wiege aller Atemschulen Im Yoga dient die bewusst gesteuerte Atmung nicht nur der inneren Einkehr, sondern auch zum Entgiften und Aktivieren von Energieflüssen. Eine klassische Grundübung ist das Nadi Shodana, die Wechselatmung. Halten Sie dafür das rechte Nasenloch zu, und atmen Sie ein. Beim Ausatmen tauschen Sie die Nasenlöcher. Es wird dabei doppelt so lange aus- als eingeatmet. „Diese Wellenbewegung beim Atemfluss ist nicht nur beruhigend, sondern regt auch die Nervenkanäle an der Nase und Wirbelsäule an. Schon nach drei Minuten fühlt man sich besser“, verspricht Ralf Sturm, Ausbilder bei Yoga Vidya, Europas größtem Anbieter für Yoga-Seminare. „Wir leben ständig in der Anspannung und haben verlernt dem Parasympathikus, der natürlichen Entspannung Raum zu geben. Wir können mit Atemübungen selbst den Ausgleich schaffen.“

Versenken im Atemfluss Viele der deutschen Atemschulen und –richtungen orientieren sich an den asiatischen Atemtechniken so wie der Autor Dr. Rüdiger Dahlke („Die Heilkraft des Atmens“). Ansätze seines „verbundenen Atem“ finden sich auch auf dem Pranayama-Yoga. Auf seinen „Atemfesten“ lernen die Teilnehmer unter Anleitung, die Pausen zwischen Ein- und Ausatmen auszulassen, sodass eine Art Atemkreis entsteht. „Der Stoffwechsel wird angeregt und der Organismus besser entsäuert.“ Trommelmusik hilft dabei, die Atemreise ins Innere zu lenken. „Alte Muster und Traumata kommen hoch und können mit Hilfe des Atems verarbeitet werden. Auch der Geist wird klarer und im Anschluss fällt man in tiefe Ruhe-Zustände“, beschreibt Rüdiger Dahlke den Effekt auf Psyche und Seele. „Es kommt sogar zu verblüffenden Glücks- und Einheits-Erfahrungen.“

Das U sitzt im BauchBeim „Erfahrbaren Atem“ nach der Professorin Ilse Middendorf wird der Atem weniger gesteuert, sondern die Atemdruckwellen, die über die Lungen durch den Körper rollen, bewusst wahrgenommen. Für Einsteiger ist dies mit einfachen Dehn-Atemübungen erfassbar. „Man muss nur die angeborene Atmung beobachten. Babies zum Beispiel strecken und räkeln sich bis in die Zehen und atmen dabei tief ein “,so Veronika Langguth, ehemals Leiterin des Instituts für Atemtherapie in Behrendorf. Leider haben viele Erwachsene genau das verlernt. „Wir betrachten den Mensch im Ganzen. Wenn ich sehr ängstlich bin, mit hochgezogenen Schultern durch die Welt gehe, kann der Atem weniger gut durch den Körper fließen.“ Diese Atemmuster werden zwar oft erkannt, aber die psychische Ursache nicht. Die Trainerin arbeitet auch viel mit Tönen und Vokalen, um die vernachlässigten Atemräume im Körper zu stärken. Einfaches Beispiel: Legen Sie im Stehen die Hand auf den Bauch und sprechen Sie ein tiefes langes U oder E, und fühlen Sie, wo die Vibrationen sind. „Wir atmen nicht irgendwo hinein, sondern animieren den Atem, durch Bewegungen und Töne dahin zu gehen.“ Mit einem langfristigen Training bekommt die Stimme mehr Volumen, oder die Haltung wird stabiler.

Verspannungen wegatmenEine gezielte Atmung kann sogar Schmerzen im Kopf, Nacken oder Gelenken lindern, weiß Charlotte Rogers aus eigener Erfahrung. Sie ist Trägerin dieser Methode, die aus der Chiropraktik kommt. „Wenn Gewebe verkrampft, kann weniger Blut, Lymphe und Sauerstoff an diese Stelle fließen, und verspannt.“ Doch im Schmerz atmen wir flacher, ein Teufelskreis der Unterversorgung beginnt. Eine Grundübung im Zilgrei ist der „Schwan“. Setzten Sie sich gerade und locker auf einen Stuhl. Halten Sie mit der rechten Hand den Unterkiefer fest und drehen sie langsam den Kopf zur rechten Schulter und wieder zurück. Danach machen Sie den gleichen Ablauf mit der linken Körperseite. In jeder Stellung werden fünf Atemzyklen (Einatmen, 5 Sekunden Pause, Ausatmen, 5 Sekunden Pause) tief in den Bauch geatmet. Wenn eine Seite Schmerzen oder Unbehagen auslöst, dann wiederholen Sie die Übungen in der Gegenrichtung. „Wir arbeiten nur in Stellungen auf der beschwerdefreien Körperseite, erst dann wirkt der Atem therapeutisch“, beschreibt Charlotte Rogers das Prinzip. “Durch die Entspannung wird das Gewebe wieder aufnahmefähig, und die Sauerstoffsättigung wird höher.“ Bleibende Schmerzlinderung kann erst eintreten, wenn man mindestens dreimal täglich die Übungen über längere Zeit wiederholt. Bewusste Atmung wie Zilgrei bringt eben keine Heilung auf Knopfdruck, aber es stösst viel in Körper und Seele an. „Es ist kein Wundermittel, aber es repariert das, was der Körper von allein noch schafft.“


Erschienen in: Weight Watchers Magazin

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